Angesichts der bevorstehenden Mitgliedschaft in der Europäischen Union stehen die sozialen Fachkräfte im polnischen Kreis Tschenstochau ebenso wie in allen anderen Regionen der Beitrittsländer vor einem Berg offener Fragen. Man weiß zwar um die Existenz europäischer Fördertöpfe, kennt aber noch nicht die verschlungenen Wege zu ihnen. Wiltrud Bolien und Rainer Barth – sie bilden die Abteilung Sozialplanung beim Landratsamt Bodenseekreis – folgten deshalb einer Einladung des polnischen Partner-Landratsamts nach Tschenstochau.
In einer zweitägigen Schulung konnten sie dort fast 100 Fachkräften des Kreises, der Gemeinden, des Arbeitsamts und verschiedener Einrichtungsträger einen ersten Einblick in die komplizierte EU-Förderthematik geben. Im Vordergrund stand dabei der Europäische Sozialfonds, der ab 1. Mai in Polen und in anderen Beitrittsländern inhaltsgleich übernommen wird. Aus diesem Topf fließen auch in den Bodenseekreis jährlich 350.000 Euro zur Durchführung von Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung von Menschen mit Benachteiligungen. Im Bodenseekreis werden aktuell zehn Projekte zu 50 % mit EU-Mitteln finanziert. Darunter sind Maßnahmen der Schulsozialarbeit, der beruflichen Integration von Langzeitarbeitslosen, Spätaussiedlern, von jungen Menschen mit geistigen Behinderungen oder die Qualifikation von Frauen für pflegerische Berufe.
Eine kurze Analyse der Arbeitsmarktsituation in Polen ergab, um wie viel dramatischer die Situation dort ist: Die Arbeitslosenquote ist mit über 20 % doppelt so hoch wie in Deutschland und übersteigt die des Bodenseekreises um das Dreieinhalbfache.
Hinter dem großen Interesse an der Schulung und der engagierten Teilnahme stand einerseits der dringende Wunsch, mit der EU-Förderung die größten Probleme schnell anzugehen, andererseits aber auch die massive Unsicherheit im Umgang mit diesen für Polen ganz neuartigen Förderungsmöglichkeiten. Neu für alle Beteiligten war die bei der Schulung vorgestellte Vorgehensweise. Denn um an die Töpfe zu kommen, müssen eigene Projektideen entwickelt, ausführlich beschrieben, komplizierte Antragsformulare ausgefüllt und Finanzierungspläne aufgestellt werden.
Diesen Fragen widmete sich auch ein großer Teil der Schulung.
Nach einer Beschreibung der Projekte im Bodenseekreis, wurden in vier Arbeitsgruppen konkrete Projektideen für mehrere Zielgruppen entwickelt und anschließend präsentiert. Damit gelang es, nicht nur theoretische Inhalte zu vermitteln, sondern einen ersten praktischen Umsetzungsschritt zu tun. In den nächsten Wochen und Monaten werden die Akteure aus den Ideen konkrete Projektanträge machen müssen. Im Herbst soll eine größere Delegation aus dem Kreis Tschenstochau in den Bodenseekreis kommen, um erste Erfahrungen auszutauschen und mit dem Europäischen Sozialfonds geförderte Projekte im Bodenseekreis kennen zu lernen.
Voraussetzung für diesen Besuch ist allerdings, dass es gelingt, EU-Mittel aus dem Fördertopf für Partnerschaften zu erhalten. Auch dieser Förderung geht eine aufwändige Antragstellung voraus.