Die umstrittenen Bäume in der Parkanlage am Schloss Rauenstein werden vorerst nicht gefällt. Jedoch bleibt das Areal bis auf Weiteres für die Öffentlichkeit gesperrt. Denn die meisten der neun Ross-Kastanien sind laut einem Gutachten stark geschädigt und nicht verkehrssicher: Jederzeit können Äste herunterbrechen und Passanten verletzen. An einer dauerhaften Lösung wird derzeit noch gearbeitet.
Wegen des großen öffentlichen Interesses an der Entwicklung des Parks legt das Landratsamt Bodenseekreis als für die Verkehrssicherheit verantwortlicher Eigentümer den aktuellen Sachstand im Detail dar, inklusive der Experten-Stellungnahmen:
Verkehrssicherungspflicht
Grundstückseigentümer haben eine sogenannte Verkehrssicherungspflicht für die sich darauf befindlichen Bäume, sofern diese eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen können. Der Bodenseekreis ist Eigentümer des Schlosses Rauenstein sowie der umliegenden öffentlichen Parkanlage. Kommt jemand zu schaden, zum Beispiel durch herabbrechende Äste oder gar umstürzende Bäume, haftet also der Landkreis. Um dies zu vermeiden, wird der Zustand der Bäume regelmäßig kontrolliert.
80 Jahre alte Bäume
Südlich des Schlosses stehen entlang eines Weges eine Esche sowie neun Ross-Kastanien. Die Bäume sind etwa 80 Jahre alt. Sie wurden seinerzeit mit gekappten Kronen angelegt, das heißt, ähnlich wie Platanen regelmäßig stark zurückgeschnitten. Diese Schnitte hat man jedoch bereits vor vielen Jahren nicht weiter durchgeführt. In der Folge wuchsen sogenannte Ständeräste, die in der Regel ab einer bestimmten Höhe stark bruchgefährdet sind.
Gutachten aus nächster Nähe
Bereits im August 2011 sind die Bäume von einem öffentlich bestellten und vereidigten Gutachter untersucht worden. In dessen Gutachten vom 11. Oktober 2011 wurden Zweifel an der Verkehrssicherheit der Bäume geäußert. Dies war für das Bau- und Liegenschaftsamt des Bodenseekreises Anlass, ein noch detaillierteres Ergänzungsgutachten über den Zustand und die Verkehrssicherheit der Bäume in Auftrag zu geben. Vor allem sollten die Baumkronen aus nächster Nähe in Augenschein genommen werden. Ende Januar 2012 kletterte der Gutachter in jeden einzelnen der zehn Bäume. Dabei wurde der Zustand jedes Baumes mit standardisierten Musterkontrollblättern sowie zahlreichen Fotos dokumentiert. Vertreter des Landratsamts sowie der Stadt Überlingen waren bei diesem Termin ebenfalls vor Ort.
Dass solch eine genaue Untersuchung sinnvoll ist, wurde fast zeitgleich bestätigt, als vor allem im Dezember 2011 in der Bodenseeregion gehäuft sehr starke Winde herrschten, denen zahlreiche Bäume zum Opfer fielen, unter anderem auch in Überlingen. Im Park Schloss Rauenstein brachen ebenfalls große Äste ab.
Bäume stark geschädigt
Im Februar 2012 wurde das Ergänzungsgutachten vorgelegt. Die Prüfung durch den Gutachter hat ergeben, dass viele der Bäume stark geschädigt sind. Insbesondere haben sich in den Astgabeln und an anderen Stellen über die Jahre hinweg Hohlräume gebildet, in denen sich teilweise zentimetertief Wasser sammelt. An diesen Stellen fault das Holz stark und während der Frostperiode bildet sich Eis, das das Holz aufsprengt. Dieser Prozess schreitet zunehmend voran.
Nicht verkehrssicher
Gerade auf diese Astgabeln wirken sehr große Hebelkräfte, vor allem wenn Wind die Äste bewegt. Die verletzten Stellen können dann wie Sollbruchstellen wirken. Es muss jederzeit damit gerechnet werden, dass Äste abbrechen. Alle neun Kastanien in ihrem derzeitigen Zustand wurden daher vom Gutachter als nicht verkehrssicher eingestuft. Aus diesem Grund hat das Landratsamt das Areal Mitte Dezember 2011 für die Öffentlichkeit sperren müssen.
Verschiedene Expertenmeinungen
Laut Gutachter sind die meisten Bäume nicht mehr in einen verkehrssicheren Zustand zu bringen. Bei zwei Ross-Kastanien wäre dies nur mit erheblichem Aufwand möglich. Von einer Baumpflegefirma wurde im Februar 2012 ein Angebot vorgelegt, die Baumkronen derart zu beschneiden und zu sichern, dass die Bäume voraussichtlich zehn Jahre lang verkehrssicher seien. Zu diesem Angebot hat das Landratsamt eine Stellungnahme des Gutachters eingeholt. Daraus geht hervor, dass auch nach solch einer Maßnahme jedes Jahr ein erheblicher Pflege- und Kontrollaufwand zu leisten wäre und dass dennoch damit die Verkehrssicherheit nicht garantiert wäre. Schließlich sei absehbar, dass die Bäume nichtsdestotrotz nach einigen Jahren gefällt werden müssten.
In Reaktion auf die Empfehlungen des Februar-Gutachtens hat die Stadt Überlingen Mitte Februar das Fällen der Bäume mit Hinweis auf die örtliche Baumschutzsatzung untersagt. Formell beantragt wurde eine Fällung noch nicht.
Sicherheit an erster Stelle
Das Landratsamt als verantwortlicher Eigentümer nimmt die Feststellung eines anerkannten Experten, dass die betroffenen Bäume nicht, beziehungsweise in wenigen Fällen nur mit erheblichem Aufwand, verkehrssicher gemacht werden können, sehr ernst. Das Risiko, dass sich die Einschätzung des Gutachters bewahrheitet und es zu Brüchen und Gefährdungen von Menschen kommt, kann und will das Landratsamt allein aus haftungsrechtlichen Gründen nicht ignorieren. Aus diesem Grund bleibt das Areal bis auf Weiteres gesperrt.
Handlungsmöglichkeiten werden diskutiert
Das Ziel des Landkreises ist es, das betroffene Areal schnellstmöglich wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und eine für lange Zeit tragfähige Lösung zu erreichen. Wenn der langfristige Erhalt der meisten Kastanien nicht ohne begründete Zweifel an einer nachhaltigen Verkehrssicherung möglich ist, präferiert der Eigentümer die Rodung der neun Ross-Kastanien - selbstverständlich unter Beachtung des Ergebnisses einer noch vorzunehmenden artenschutzrechtlichen Prüfung und Abwägung. In diesem Fall würden am selben Standort neue, gesunde Bäume gepflanzt werden. Dies wären dann keine kleinen Setzlinge, sondern Bäume, die bereits einen ansehnlichen Wuchs aufweisen. Nach wenigen Jahren würde der Charakter des Parks vergleichbar sein mit dem gewohnten, heutigen Zustand. Für solch eine nachhaltige Lösung sind im aktuellen Haushalt des Bodenseekreises Geldmittel eingeplant.
Aus jetziger Sicht nicht sinnvoll wäre es hingegen, nur einen Teil der betroffenen alten Bäume durch Neupflanzungen zu ersetzen. Denn diese würden das homogene Wachstum der jungen Bäume sowie die Gesamtanmutung der Parkanlage stark beeinträchtigen.
Welche der vorgeschlagenen Lösungen im Hinblick auf die Sicherheit und Kosten sowie Umweltschutz- und Landschaftsaspekte die beste wäre, wird in den nächsten Wochen von den Experten weiter diskutiert werden.
Artenschutz
Es kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass die Bäume - vor allem die vorhandenen Höhlen, Spalten und Risse - streng geschützten Arten (zum Beispiel Fledermäuse und Spechte) als Fortpflanzungs- und Ruhestätten dienen. Aus diesem Grund wird das Landratsamt einen Sachverständigen mit einer artenschutzrechtlichen Prüfung beauftragen.
Hier können Sie die Gutachten des öffentlich bestellten und vereidigten Gutachters einsehen:
<media 5487 _blank external-link-new-window>Gutachten vom 11.10.2011 als pdf herunterladen.</media>
<media 5488 _blank external-link-new-window>Ergänzungsgutachten vom 08.02.2012 als pdf herunterladen.</media>
<media 5489 _blank external-link-new-window>Stellungnahme zu Sicherungsmaßnahmen vom 14.02.2012 als pdf herunterladen.</media>