Es ist so weit: Der Förderpreis des Bodenseekreises für junge und gegenständliche Kunst 2020 ist vergeben. In diesem Jahr wird der mit 4000 Euro dotierte Preis zwischen Zeichnung und Malerei geteilt. Und auch das Publikum hat für seinen Favoriten abgestimmt.
„IR_REAL“ hieß die Schau, in der 32 Künstlerinnen und Künstler, die in Deutschland und Österreich leben und arbeiten, bis November 2020 ihre Arbeiten präsentierten. Eine Jury aus Kunst- und Kulturschaffenden hat die jungen Kreativen aus den Bewerbungen ausgewählt und über die Vergabe des Förderpreises entschieden.
Unter den aussagekräftigen zeichnerischen Positionen setzte sich die Hamburger Künstlerin Christine Brey durch. Sie beeindruckte die Jury mit drei Grafitzeichnungen von hoher psychologischer Dichte. Ihre Figurenbilder können als Sinnbild der „drei Lebensalter“ gelesen werden. Doch geht es hier nicht ums biologische Altern, sondern um das, was die Gesellschaft mit den Individuen macht. In „Wo wir hingehen“ zeigt Brey zwei ältere Männer, die resigniert hintereinander hergehen. Wohin sie gehen, wissen wir nicht. Auf ihren Köpfen sitzen Kegelhütchen wie bei einem Kindergeburtstag. Werden hier die Alten beim „Abtreten“ auch noch verspottet? Christine Brey offenbart in ihren Zeichnungen kritisches Denken gepaart mit Empathie.
Fröhliche Stimmung dagegen rufen die Gemälde von Ghaku Okazaki hervor, der den Förderpreis für Malerei erhält. Die Jury hat sich in dieser Entscheidung von den Kriterien europäischer Kunstgeschichte gelöst und ein Zeichen für künstlerische Vielfalt gesetzt. Okazaki hat das Gremium mit seiner umwerfenden Farbkraft überzeugt. Der gebürtige Japaner und aktuell in Reutlingen arbeitende Künstler spannt seine Kunst vor dem Hintergrund asiatischer Traditionen auf, interpretiert sie aber neu. Sein Gemälde „Rainbow Arms“ ist ein Bilderkosmos, der für Diversität in der Gesellschaft plädiert, für ein harmonisches Miteinander der Lebewesen in der Welt und – im spirituellen Sinn – dafür, die eigenen Möglichkeiten zu entdecken und sich zu befreien.
Für beide Preisträger wird im kommenden Jahr eine gemeinsame Ausstellung in der Überlinger Galerie Fähnle organisiert.
Auch das Publikum hat gewählt und sich mehrheitlich für Sebastian Lorenz entschieden. Der Waiblinger Maler hat mit seinem großformatigen „Schachspiel“ überzeugt, in dem er subtil auf die Folgen des Bosnienkrieges hinweist. Berührt hat er die Menschen auch mit seinem zärtlichen Porträt von „Theresa“, deren schlummerndes Gesicht eine ganze Geschichte erzählt.
Die prämierten Künstler und ihre Bilder werden statt einer Preisverleihungs-Veranstaltung online auf den Internetseiten der Galerie Bodenseekreis präsentiert: www.galerie-bodenseekreis.de
Katalog zur Ausstellung
IR_REAL
jung + gegenständlich
Förderpreis des Bodenseekreises 2020
Hg. Heike Frommer, Kulturamt Bodenseekreis
ISBN 978-3-945396-15-5
Bildinfo: Sebastian Lorenz, Schachspiel, Acryl/Lwd., 2018/1019
© Sebastian Lorenz