Der Bund der Steuerzahler kritisiert in seinem aktuellen Schwarzbuch, dass der Bodenseekreis 2016 das ehemalige Hotel „Adler“ in der Gemeinde Sipplingen angemietet, aber nicht als Unterkunft für Geflüchtete genutzt hat. Bemängelt wird vor allem, dass das Gebäude vor Abschluss des Mietvertrags angeblich nicht ausreichend auf seine bauliche Nutzbarkeit geprüft worden sei.
Hierzu stellt das Landratsamt Bodenseekreis klar:
Die Behauptung, das Landratsamt hätte den schlechten baulichen Zustand nicht gekannt und das sei der Grund für die Nicht-Nutzung gewesen, ist nicht korrekt.
Korrekt ist: Das Landratsamt kannte den baulichen Zustand und den Rüstbedarf des Gebäudes, als es den Mietvertrag unterzeichnet hat. Auch die nötigen Brandschutzmaßnahem wurden vor Abschluss des Mietvertrages erarbeitet. Die baurechtlichen Fragen wurden im regulären Bauantragsverfahren geklärt. Ähnlich der heutigen Krisensituation war der Kreis 2015/2016 dringend auf neue Unterkünfte angewiesen. Um weitere Notunterkünfte in Turnhallen zu vermeiden, musste der Landkreis auch Objekte mit vergleichsweise hohem baulichen Rüstbedarf anmieten. Die lange Mietdauer war nötig, um die geplanten Investitionen zu schützen. Die Entscheidung, das Objekt vorerst nicht als Flüchtlingsunterkunft herzurichten, war Ergebnis der bundes- und landespolitischen Lage, weil im Frühjahr 2016 schlagartig die Zuweisung Geflüchteter zurückging und damit der absehbare Bedarf an Unterkunftskapazitäten. Die Entscheidung, das Objekt wieder abzugeben und die Ablösekosten in Kauf zu nehmen, wurde nach Maßgabe des Landes getroffen. Dieses hatte nach der ersten Migrationskrise die Landkreise angewiesen, Unterkunftskapazitäten abzubauen. Heute würde der Kreis diese Plätze dringend benötigen.
Im Detail:
Das Landratsamt Bodenseekreis hat das Objekt in der damals hochbrisanten Migrationskrise angemietet. Die Jahre 2014 und 2015 waren geprägt von einer stetig wachsenden Anzahl an vom Land zugewiesenen Asylbewerbern, in der Spitze bis zu 400 Personen pro Monat. Anfang 2016 hatte der Bodenseekreis 27 Gemeinschaftsunterkünfte in Betrieb, daneben waren 17 Unterkünfte in der Fertigstellung zur Übergabe. Weiterhin wurden sieben Notunterkünfte (mehrere in Sporthallen) betrieben und elf Wohnungen angemietet. In dieser Krisensituation – ganz ähnlich wie aktuell – mussten Entscheidungen getroffen werden. Die Kreisverwaltung war dringend darauf angewiesen, Plätze in regulären Gemeinschaftsunterkünften zu schaffen, um weitere Notunterkünfte in Turnhallen zu vermeiden bzw. die bestehenden bald wieder auflösen zu können.
Der Mietvertrag für das ehemalige Hotel „Adler“ in der Gemeinde Sipplingen am Bodensee wurde am 20. bzw. 23. November 2015 unterzeichnet. Vor der Vertragsunterzeichnung hat das Bau- und Liegenschaftsamt des Landratsamts Bodenseekreis mehrere Begehungen durchgeführt, um den Zustand des Gebäudes zu erheben: Das Objekt wurde am 11. September erstmals besichtigt; am 12. Oktober legte die Fachabteilung eine erste Kostenschätzung der erforderlichen Umbaumaßnahmen vor; am 3. November gab es eine gemeinsame Begehung durch Fachleute der Liegenschaftenverwaltung des Landratsamts, des Brandschutzes, der Baurechtsbehörde und einem externen Architekturbüro. Dabei wurde insbesondere auch der Rüstbedarf im Bereich des Brandschutzes protokolliert. Das Landratsamt war sich bei Vertragsunterzeichnung also völlig im Klaren darüber, dass das Gebäude einen Umrüstbedarf von mehreren Hunderttausend Euro hatte, um für den geplanten Zweck als Gemeinschaftsunterkunft genutzt werden zu können. Alle Prüfschritte sind dokumentiert, die Anmietung war mit dem Land als Kostenträger abgestimmt.
Als die Baugenehmigung für das Objekt Mitte 2016 erteilt wurde, war der Geflüchteten-Zustrom durch die internationale Politik aber überraschend nahezu gestoppt worden. Die Zuweisungen Geflüchteter an den Landkreis ging deshalb schlagartig stark zurück. Diese Entwicklung war nicht absehbar, als der Mietvertrag geschlossen wurde. Aus diesem Grund wurde die Sanierung und Ertüchtigung des Objekts zunächst zurückgestellt. Ein zweites Sanierungsgutachten wurde Mitte 2016 in Auftrag gegeben um zu prüfen, ob das Objekt durch die Gemeinde genutzt werden könnte. Das Gutachten ergab gegenüber den ersten Schätzungen ein um rund 180.000 Euro hören Investitionsbedarf. Dieser Betrag war entgegen der Behauptung nicht der Grund, die Umrüstung des Gebäudes nicht anzugehen.
Mitte 2017 hat das Land Baden-Württemberg die Kreise sogar aufgefordert, Unterbringungskapazitäten wieder abzubauen. Vorschläge der Kreisverwaltung, das Objekt an andere Investoren zu vermieten, konnten nicht realisiert werden. Deshalb hat die Kreisverwaltung seit Anfang 2018 mit dem Vermieter über die Beendigung des Mietvertrages verhandelt. Man hat sich auf die vorzeitige Beendigung des Mietverhältnisses Ende Mai 2021 und eine Abstandszahlung in Höhe der ursprünglich vereinbarten Mietkosten durch den Kreis geeinigt. Durch diese der aktuellen Lage angepassten Vorgehensweise hat das Landratsamt die Nebenkosten für die vereinbarte Vertragslaufzeit sowie vor allem die ursprünglich geplanten Rüstkosten von rund einer halben Million Euro vermieden.
Im Mietvertrag wurde eine Rücktrittsklausel für den Fall festgelegt, dass keine Baugenehmigung für die Umnutzung erteilt wird. Das Risiko, dass die Unterkunft nicht mehr gebraucht wird, konnte nicht auf den Vermieter übertragen werden. Aus diesem Grund enthielt der Mietvertrag keine allgemeine einseitige Rücktrittsklausel. Hätte der Landkreis auf solch eine Klausel bestanden, wäre der Vertrag nicht zustande gekommen und der Bodenseekreis hätte bei anhaltender Migrationskrise weitere Plätze in Notunterkünften in Turnhallen benötigt.