Modellprojekt zum Bundesteilhabegesetz (BTHG)

Von Januar 2018 bis Dezember 2021 führen das Landratsamt Bodenseekreis und die Liebenau Teilhabe gemeinnützige GmbH ein Modellprojekt zur Erprobung des Bundesteilhabegesetzes durch. Das Gesetz enthält Neuregelungen für Menschen mit Behinderungen, wie sie künftig selbstbestimmter leben können. Aus dem Modellprojekt sollen wichtige praktische Erkenntnisse gewonnen werden, um die geplanten neuen Regelungen dann möglichst praxistauglich bundesweit einführen zu können. Das Modellprojekt im Bodenseekreis konzentriert sich auf das Wohnen erwachsener Menschen mit Behinderungen.

Das Bundesteilhabegesetz (BTHG)

Die UN-Menschenrechtskonvention wurde vor 70 Jahren verabschiedet. Seit zehn Jahren gibt es auch ein Abkommen für Menschen mit Behinderungen, die UNBehindertenrechtskonvention (kurz: UN-BRK). Diese soll die Rechte von Menschen mit Behinderungen stärken, sodass sie als gleichberechtigte und selbstbestimmte Mitbürgerinnen und Mitbürger leben können.

Deutschland hat die UN-BRK im Jahr 2009 unterzeichnet. Das bedeutet, dass die vereinbarten Ziele auf nationaler Ebene umgesetzt werden müssen. In Deutschland wurde zu dieser Umsetzung unter anderem das Bundesteilhabegesetz erarbeitet. Der vollständige Titel lautet: Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen. Ziel des BTHGs ist es, dass Menschen mit Behinderungen - wie alle anderen - nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen an der Gesellschaft teilhaben können. Dazu gehört auch die Entscheidung wie, wo und mit wem jemand leben oder arbeiten möchte. So steht in Zukunft die Selbstbestimmung und vollständige Teilhabe von Menschen mit Behinderungen im Vordergrund und löst den Fürsorgegedanken ab.

Die größten Veränderungen durch das BTHG kommen ab dem Jahr 2020. So wird es unter anderem Veränderungen bei der Anrechnung von Einkommen und Vermögen auf die Leistungen der Eingliederungshilfe geben. Auch die Bezahlung von Leistungen im stationären Bereich wird sich verändern. Stationär bedeutet, dass die Personen in einem speziellen Wohnangebot (z. B. ein gemeindeintegriertes Wohnangebot der Liebenau Teilhabe) mit Betreuung über Tag und Nacht wohnen.

Zurzeit erhält der Leistungserbringer (z. B. die Liebenau Teilhabe) für jede Person einen an ihrem Hilfebedarf orientierten Pauschalbetrag vom Leistungsträger (z. B. Landratsamt Bodenseekreis). Mit diesem Betrag wird von der Liebenau Teilhabe eine Art „Gesamtpaket“ für den Menschen mit Behinderungen angeboten: Unterkunft, Verpflegung, pädagogische und/oder therapeutische Maßnahmen. Ab 2020 wird dieses „Gesamtpaket“ in zwei unterschiedliche Leistungsbereiche aufgeteilt:

1. Existenzsichernde Leistungen

Das sind die Leistungen, die den Lebensunterhalt und die Miete betreffen. Kann eine Person nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen für ihren Lebensunterhalt aufkommen, erhält sie weiterhin Unterstützung von der Sozialhilfe. Dazu muss ein Antrag beim Sozialhilfeträger nach SGB XII gestellt werden. Ab 2020 gilt das für alle Menschen mit Behinderungen.

2. Fachleistungen der Eingliederungshilfe

Das sind die Leistungen, die eine Person aufgrund ihrer Behinderung im Alltag braucht, z. B. Hilfe im Haushalt oder pädagogische Hilfen. Diese Fachleistungen sollen künftig individuell nach SGB IX in Anspruch genommen werden können.

Welche Fachleistungen ein Mensch mit Behinderungen braucht und wie oder durch wen die Unterstützung genau erbracht werden soll, wird in einem sogenannten Gesamtplanverfahren ermittelt. Sind noch weitere Rehabilitationsträger neben der Eingliederungshilfe dabei (z. B. Krankenversicherung, Rentenversicherung), spricht man von einem sogenannten Teilhabeplanverfahren. Die verschiedenen Rehabilitationsträger beraten gemeinsam mit der Person, wie der Unterstützungsbedarf gedeckt werden kann.

Das Modellprojekt

Einige Dinge waren bei der Ausarbeitung des Gesetzes umstritten. Wie sich das Gesetz auswirkt und ob die beabsichtigte Teilhabe in der Gesellschaft verbessert wird, muss sich erst noch beweisen. Um diese Fragen zu beantworten, fördert das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) deutschlandweit 31 Modellprojekte. Diese sind eine Art Test, in dem die neuen Regelungen zunächst „virtuell“ erprobt werden, bevor sie ab 2020 rechtswirksam werden. Die Ergebnisse der Modellprojekte sollen dem BMAS die Möglichkeit geben, das Gesetz eventuell noch anzupassen. Das Landratsamt Bodenseekreis und die Liebenau Teilhabe haben als Projektpartner im Januar 2018 ein solches Projekt gestartet. Im Mittelpunkt sollen hier Menschen mit schweren und geistigen Behinderungen stehen.

Das BMAS hat vorgegeben, die Erprobung anhand konkreter Einzelpersonen durchzuführen. Dazu wählen die Projektpartner Personen aus, die momentan Angebote der Liebenau Teilhabe in Anspruch nehmen. Stimmen diese Personen der Teilnahme zu, wird untersucht, wie sich die gesetzlichen Veränderungen ab 2020 in ihrem konkreten Fall auswirken würden. Um ein umfassendes Ergebnis zu bekommen, werden Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen und Bedarfen ausgewählt.

Das BMAS hat sieben Themen zur konkreten Untersuchung vorgegeben. Das sind Bereiche des Gesetzes, die eine besonders große Veränderung mit sich bringen, viele Fragen aufwerfen oder im Vorfeld sehr stark diskutiert wurden. Die Projektpartner im Bodenseekreis bearbeiten alle sieben Themen, über die das BMAS Erkenntnisse bekommen möchte:

1. Trennung der existenzsichernden Leistungen und der Fachleistungen der Eingliederungshilfe

Durch das BTHG gibt es zukünftig für Menschen mit Behinderungen Leistungen aus zwei getrennten Bereichen. Es gibt existenzsichernde Leistungen aus der Sozialhilfe (z. B. Wohnkosten, Verpflegung) und Fachleistungen der Eingliederungshilfe (z. B. Assistenz im Alltag, unterstützte Kommunikation). Im Bereich der Existenzsicherung bereiten die Projektpartner zum Beispiel Mustermietverträge vor und berechnen die Wohnkosten für jede Person.

2. Einkommens- und Vermögensanrechnung

Für beide genannten Bereiche (Existenzsicherung und Eingliederungshilfe) gab es bereits 2017 Verbesserungen bei der Einkommens- und Vermögensanrechnung. Ab 2020 gibt es durch das BTHG weitere Verbesserungen im Bereich der Eingliederungshilfe. Auch diese neuen Regelungen werden probehalber angewendet, um zu sehen, was dies für die Betroffenen bedeutet.

3. Leistungen zur Sozialen Teilhabe, insbesondere Assistenzleistungen

Diese sind Fachleistungen der Eingliederungshilfe, die eine Person aufgrund ihrer Behinderung braucht, z. B. Unterstützung beim Anziehen, Begleitung zu Veranstaltungen oder auch Hilfe bei der Lebensplanung. Diese Leistungen sollen künftig ganz individuell und auf die einzelne Person zugeschnitten erbracht werden. Im Moment ist noch nicht klar, wie diese Leistungen in Anspruch genommen werden können. Wird es viele Einzelleistungen geben, die man sich aussuchen kann oder doch Module, z. B. im Bereich Hauswirtschaft oder Freizeit?

4. Umsetzung Rangverhältnis Eingliederungshilfe und Leistungen der Pflege

Viele Menschen mit Behinderungen brauchen auch pflegerische Unterstützung. Das Gesetz gibt allerdings nicht klar vor, wann die Eingliederungshilfe und wann die Pflegekasse die Leistung bezahlt. Hier geht es darum, zu unterscheiden, welche Leistungen von der Eingliederungshilfe des Landratsamtes bezahlt werden, welche von der Pflegeversicherung oder der Hilfe zur Pflege. Im Modellprojekt werden diese Abgrenzungen vorgenommen, um zu sehen, was dies für die Betroffenen und die Leistungserbringer bedeutet.

5. Gemeinschaftliche Leistungserbringung

Leben Menschen zusammen, besuchen sie beispielsweise die gleiche Schule oder fahren gemeinsam zur Arbeit, kann es sein, dass sie einen ähnlichen Unterstützungsbedarf zur selben Zeit oder ähnliche Wünsche haben. Hier ist es naheliegend, bestimmte Leistungen gemeinschaftlich zu erbringen, wenn es für die Personen zumutbar ist. Haben beispielsweise mehrere Personen Interesse an einem Ausflug, kann dieser gemeinschaftlich organisiert werden. Es gibt aber auch Dinge, bei denen man Einzelassistenz benötigt, z. B. bei der eigenen Lebensplanung.

6. Prüfung Zumutbarkeit und Angemessenheit

Ist der Wunsch einer Person sehr schwer umzusetzen oder wäre viel teurer als das, was durchschnittlich ausgegeben wird, kann der Leistungsträger diesen Wunsch wegen Unangemessenheit ablehnen und der Person ein anderes Angebot vorschlagen. In diesem Fall muss geprüft werden, ob das alternative Angebot zumutbar ist. Diese Prüfung ist ebenfalls Teil der Testbearbeitung.

7. Bezüge zu anderen Leistungen der sozialen Sicherung

Hier stellt sich die Frage, wieviel Geld den Personen mit Behinderungen in besonderen Wohnangeboten künftig zur freien Verfügung bleiben soll. Zurzeit sind dies ein Barbetrag in Höhe von 112,32 Euro und 23,00 Euro Kleidergeld. Im neuen Gesetz ist dieser Betrag nicht mehr für alle einheitlich festgelegt. Wie hoch das „Taschengeld“ sein wird, hängt davon ab, wieviel Einkommen oder Vermögen die Person hat.

Kontakt

Landratsamt Bodenseekreis
Projektkoordination Modellprojekt BTHG

Johanna Geyer
Glärnischstraße 1 - 3, 88045 Friedrichshafen

Tel.: 07541 204-5964
johanna.geyer@bodenseekreis.de